Bei etwa der Hälfte aller ungewollt kinderlosen Paare liegt ein Teil oder die gesamte Ursache für das Fruchtbarkeitsproblem beim Mann. Da Männer dies in den allermeisten Fällen aber nicht anhand irgendeines Krankheitsgefühls spüren können, sollten sie spätestens nach 12 Monaten Kinderwunsch ein Spermiogramm machen. Ist die Partnerin über 35 Jahre alt, dann bereits nach 6 Monaten. Wenn ein Problem vorliegt, gibt ein Spermiogramm fast immer genauere Anhaltspunkte und zeigt, wo eine Behandlung helfen kann.
Störungen der Samenzellbildung
Die häufigste männliche Fruchtbarkeitsstörung besteht darin, dass nicht genügend intakte und gut bewegliche Spermien produziert werden. Als Richtwert gilt eine Gesamtzahl von mindestens 39 Millionen Spermien in der Samenflüssigkeit (Ejakulat) (oder 15 Millionen pro Milliliter), wovon wenigstens 4 Prozent normal geformt und mindestens 32 Prozent gut beweglich sein sollten.
Ursache für die Störung kann ein früherer oder aktueller Hodenhochstand sein (Leisten- oder Gleithoden etc.). Dabei befinden sich die Hoden nicht komplett oder nicht beständig im Hodensack, wie es für eine ungestörte Spermienproduktion erforderlich ist. Die vermutlich genetisch mitbedingten Ursachen eines Hodenhochstandes sind noch nicht eindeutig geklärt. Der Fehlstand schädigt die Hoden auf Dauer, da sie dadurch zu warm sind und möglicherweise auch schlechter durchblutet werden. In der Folge produzieren sie zu wenige Spermien.
Auch direkte Schädigungen des Hodengewebes können die Spermienproduktion nachhaltig beeinträchtigen: Dazu können frühere oder akute Infektionen der Hoden oder Nebenhoden (Orchitis/ Epididymitis) führen, zu denen auch eine Mumpsorchitis in der Kindheit zählt. Schaden können auch Hodenverletzungen etwa durch Sport oder eine Hodenverdrehung (Hodentorsion). Nicht zuletzt stehen Varikozelen (verdickte Venen meist in der linken Hodensackhälfte) im Verdacht, die Spermienproduktion zu stören.
Hodentumoren sind insgesamt selten, gehören aber zu den häufigsten männlichen Krebserkrankungen in der Altersgruppe zwischen 20 und 40 Jahren. Unter Männern mit einer festgestellten Fruchtbarkeitsstörung treten Hodentumoren zudem deutlich häufiger auf. Die Fruchtbarkeitsstörung wird deshalb auch als ein Risikofaktor für eine Tumorerkrankung des Hodens angesehen.
Einen nachweislich schädlichen Einfluss hat das Rauchen – sowohl auf die Produktion als auch auf die Befruchtungsfähigkeit von Spermien. Wegen vermehrter DNA-Schäden der Spermien verschlechtern sich bei Rauchern außerdem die Erfolgschancen einer künstlichen Befruchtung.
Störungen des Spermientransports
Bei manchen Männern werden zwar ausreichend Spermien gebildet. Aufgrund einer Störung des Spermientransports – die Samenwege sind hier teilweise oder ganz verschlossen oder nicht vollständig angelegt – können sie sich aber nicht mit der Samenzellflüssigkeit vermischen. In diesen Fällen finden sich im Ejakulat dann zu wenige oder keine intakten Spermien (Obstruktive Azoospermie).
Die Ursache liegt häufig in einer Störung der Nebenhodenfunktion, in einer Vernarbung der Samenleiter - zum Beispiel durch die Operation eines Leistenbruchs oder gewollt durch eine Sterilisation (Vasektomie) - oder in einer angeborenen Fehlbildung. Auch unbemerkte Infektionen (etwa durch Chlamydien) können zu einem Verschluss der Samenwege führen.
Sind die Samenwege nicht passierbar, besteht die Möglichkeit der Testikulären Spermienextraktion (TESE) oder der Mikrochirurgischen Epididymalen Spermienaspiration (MESA). Dabei werden den Hoden oder den Nebenhoden Spermien entnommen, eingefroren und später für die künstliche Befruchtung aufbereitet.
Unzureichender Harnblasenverschluss
Bei einigen Männern funktioniert der muskuläre Verschluss zwischen Blase und Prostata nicht ausreichend, wodurch es zu einer sogenannten retrograden (rückwärtsgewandten) Ejakulation kommt. Dabei wird der Samen bei einem Orgasmus nicht durch den Penis nach draußen befördert, sondern in die Blase abgegeben und später mit dem Urin ausgeschieden.
Mögliche Ursachen für einen unzureichenden Harnblasenverschluss sind Operationen an einer vergrößerten Prostata, ein Diabetes mellitus oder Nervenschädigungen. Kann die retrograde Ejakulation selbst nicht behandelt werden, lassen sich unter Umständen mit speziellen Verfahren die Spermien aus dem Urin herausfiltern.
Antikörper-Bildung
Bei der immunologischen Sterilität behandelt das Immunsystem des Mannes die eigenen Samenzellen als Fremdkörper. Die Folge ist eine Abwehrreaktion gegen die eigenen Körperzellen (Autoimmunreaktion). Dabei greift das Immunsystem die Samenzellen an, indem es im Blut Abwehrstoffe (Antikörper) gegen sie bildet. Diese Antikörper heften sich an die Spermien an und können sie dadurch sowohl in ihrer Beweglichkeit als auch in ihrer Fähigkeit beeinträchtigen, die Eizelle zu erreichen und ihre Hülle zu durchdringen.
In der Reproduktionsmedizin ist umstritten, ob die Antikörperbildung allein ausreicht, die Fruchtbarkeit entscheidend einzuschränken. Man muss allerdings davon ausgehen, dass eine ernsthafte Beeinträchtigung wahrscheinlich ist, wenn mehr als 50 Prozent der Spermien mit Antikörpern behaftet sind.
Unklare Ursachen
Unklar ist die Bedeutung von Umwelteinflüssen, beispielsweise durch Pestizide, chlororganische Verbindungen und andere chemische Stoffe, Schwermetalle, radioaktive Strahlung oder Hitze. Obwohl die schädigende Wirkung auf den menschlichen Körper ab einem bestimmten Maß unbestritten ist, lässt sich für den Einzelnen nur selten ein eindeutiger Einfluss auf die Fruchtbarkeit nachweisen.
Daneben gibt es eine Reihe von hormonellen und genetischen Störungen, die in vielfältiger Weise die männliche Fruchtbarkeit beeinträchtigen können. Außerdem kann die Zeugungsfähigkeit durch Ejakulationsstörungen und Erektionsprobleme behindert werden.
Nicht zuletzt können Allgemeinerkrankungen von Nieren, Herz und Leber, Stoffwechselstörungen sowie Alkohol-, Drogen- und Anabolikamissbrauch in den Hormonhaushalt eingreifen und fruchtbarkeitsschädigende Prozesse in Gang setzen.
In vielen Fällen (die Schätzungen reichen von 20 bis 35 Prozent) lässt sich eine verminderte Fruchtbarkeit zwar feststellen, nicht aber ihre genaue Ursache. Dann spricht man von der sogenannten idiopathischen Subfertilität. Hinter dieser Sammeldiagnose, die übrig bleibt, wenn alle bekannten möglichen Ursachen ausgeschlossen wurden, verbirgt sich eine Vielzahl von bisher nicht identifizierbaren Störungen der Steuerung der Spermienproduktion und des Befruchtungsvorgangs.
Behandlung ist oft möglich
Auf die Ursachen einer Fruchtbarkeitsstörung hat man zum Zeitpunkt der Diagnose oft keinen Einfluss mehr. Das Problem geht häufig auf eine frühe Entwicklungsstörung zurück (etwa einen Hodenhochstand) oder auf eine (unbemerkte) vergangene Infektion der Hoden oder Samenwege.
Dennoch kann die Medizin häufig Hilfe anbieten. Grundsätzlich gilt es, mögliche Ursachen für die Fruchtbarkeitsstörung zu erkennen und wenn möglich zu behandeln. Wird zum Beispiel eine gestörte hormonelle Steuerung der Hodenfunktion diagnostiziert, kann man oft die fehlenden Hormone ersetzen oder eine überschießende Produktion von Hormonen korrigieren.
Lässt sich die Fruchtbarkeit nicht verbessern oder sind die Ursachen der Fruchtbarkeitsstörung nicht behandelbar, besteht die Möglichkeit, Ei- und Samenzellen den Weg zueinander zu erleichtern. Das geschieht mithilfe von Techniken der künstlichen Befruchtung (ART).
Zu den Verfahren der ART gehören die Intrauterine Insemination (IUI), die In-vitro-Fertilisation (IVF) und vor allem die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI).