Wenn eine Narkose und eine Operation bevorstehen, löst das bei vielen Menschen Unwohlsein aus. So ist es auch in der Kinderwunschzeit und der Kinderwunschbehandlung. Und eines möchte ich gleich vorwegnehmen: solche Ängste und Sorgen sind nicht darin begründet, dass man sich das ersehnte Kind nicht genug wünscht! Bei unerfülltem Kinderwunsch können Operationen sowohl für die Diagnostik als auch für die Kinderwunschbehandlung nötig sein. Leider sind diese Operationen nicht immer ambulant machbar und auch eine Vollnarkose ist für manche Eingriffe notwendig.
In diesem Artikel geht es um folgende Fragen:
- Was ist das Besondere bei der Angst vor Narkosen und Operationen im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung?
- Was steckt hinter der Angst vor Narkosen und Operationen?
- Was kann ich gegen meine Angst vor Narkosen und Operationen tun?
Die Angst vor Narkosen oder Operationen ist grundsätzlich keine andere Angst als zum Beispiel die vor Spinnen oder Schlangen. Es gibt einen bestimmten Angstauslöser, auf den wir mit Angst reagieren. In der Regel versuchen wir Menschen, angsteinflößende Situationen so gut es geht zu vermeiden. Oder wir bringen genügend Willenskraft auf, um die Angst zu überwinden: Zum Beispiel nähern wir uns trotz Angst der Spinne, um sie einzufangen bevor sie sich irgendwo in der Wohnung versteckt.
Was ist das Besondere bei der Angst vor Narkosen und Operationen bei einer Kinderwunschbehandlung?
Bei Kinderwunsch und gleichzeitiger Angst vor Narkosen oder Operation ist die Situation aber besonders: Sie müssen hier besonders viel eigene Willenskraft aufbringen, um Ihre Angst zu überwinden. Ich erkläre Ihnen kurz, was es damit auf sich hat.
Bei Operationen außerhalb der Kinderwunschbehandlung bestärken Sie die behandelnden Ärztinnen und Ärzte in der Regel intensiver, diese OP durchzuführen. Stellen wir uns zum Beispiel vor, es ginge um eine Schulter-OP: Wegen Kalkablagerungen schmerzt Ihre Schulter immer wieder. Es wurde schon einiges probiert, aber eine dauerhafte Lösung ist nur mit einer Schulter-OP möglich. Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte ermutigen Sie immer wieder, die Schulter operieren zu lassen. Das unterstützt Sie bei der Entscheidung, die OP trotz Angst durchzuziehen.
Bei einer Kinderwunschbehandlung ist das ein wenig anders. Zwar werden auch hier die Ärztinnen und Ärzte eine Empfehlung abgeben, dass diese Operation im Rahmen der Kinderwunschbehandlung nötig ist. Allerdings werden sie Sie weniger intensiv darin bestärken, sich für die Operation zu entscheiden.
Das liegt nicht daran, dass sie Zweifel an der Notwendigkeit oder der Operation an sich haben, sondern kann verschiedene Gründe haben. Bei einer Kinderwunschbehandlung ist es nicht sicher, dass es zu einer Schwangerschaft kommt. Natürlich gibt es statistische Werte zu Erfolgswahrscheinlichkeiten bei bestimmten Konstellationen oder Situationen. Aber hier spielen viele individuelle Faktoren eine zusätzliche Rolle. Die Kinderwunschbehandlung ist deshalb im Vergleich zu anderen medizinischen Behandlungen besonders komplex. Eine zu starke Empfehlung oder Bestärkung könnte die Hoffnung schüren, dass die Operation bei Ihnen besonders gute Erfolgsaussichten hat – das kann Ihnen aber leider niemand mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Ein anderer Aspekt ist, dass viele der Behandlungskosten selbst gezahlt werden müssen. Eine zu starke Empfehlung könnte den Eindruck erwecken, dass finanzielle Verdienstmöglichkeiten für die Klinik im Vordergrund stehen. Deswegen wird die Ermutigung zu der OP durch die Kinderwunschklinik vielleicht weniger stark ausfallen und es ist mehr eigene Willenskraft nötig, um sie trotz Ihrer Angst zu machen. Insgesamt wird die Kinderwunschbehandlung im Gesundheitssystem zu den sogenannten elektiven, also freiwilligen Behandlungen gezählt.
Was steckt hinter der Angst vor Operationen und Narkosen?
Während einer Narkose oder einer Operation geben wir die Kontrolle ab: über unseren Körper und auch über unsere Wahrnehmung. Was während einer Narkose passiert, bekommen wir nicht mit. Während dieser Zeitspanne treffen die Ärzte, Ärztinnen und das medizinische Team alle notwendigen Entscheidungen für uns. Wenn wir die Kontrolle abgeben, sind wir darauf angewiesen, dass andere Menschen für uns mögliche Gefahren erkennen und in unserem Sinne handeln.
Auch wenn die Operation und die Narkose vorher ausführlich besprochen und erklärt wurden, bleibt vielleicht trotzdem ein mulmiges Gefühl davor. Das ist durchaus berechtigt und angemessen – schließlich bleibt immer ein Restrisiko. Es ist es wichtig, Ängste ernst zu nehmen. Denn die menschliche Vorstellungskraft kann körperliche Vorgänge beeinflussen. Ein sehr bekanntes Beispiel ist der sogenannte Placebo-Effekt. Hier treten positive erwartete Wirkungen eines Medikamentes ein, obwohl sich im Medikament kein Wirkstoff befindet. Dies kann auch in die entgegengesetzte Richtung passieren. Das heißt, es treten (sichtbar und messbar) erwartete negative Wirkungen z. B. eines Wirkstoffs ein, obwohl dieser Wirkstoff nicht im Körper ist. Dieser Effekt wird Nocebo-Effekt genannt und die genauen Ursachen dafür sind noch nicht geklärt. Aber dieser Effekt zeigt auf, dass es wichtig ist Ängste, Sorgen und Befürchtungen nicht einfach wegzuwischen. Die Gefühle brauchen ihren Raum, sollten ernst genommen werden und dann gelingt es auch Bewältigungsstrategien dafür zu finden. Das erkläre ich jetzt noch etwas detaillierter. Angst zu haben fühlt sich nie gut an und mit ihr umzugehen ist eine Herausforderung. Es kostet einiges an Energie die Angst im Zaum zu halten, also sie auszuhalten. Und auch Angst zu vermeiden ist aufwändig: Es ist notwendig sich gut zu organisieren, wenn etwas gezielt vermieden werden soll. Oder aber die Vermeidung geht mit Nebenwirkungen einher. So ist das auch in der Kinderwunschzeit. Wenn man sich der Angst vor Operationen und Narkosen nicht stellt, kann man bestimmte Behandlungsmöglichkeiten nicht in Anspruch nehmen. Nun zu der Frage, warum Angst schwer zu bewältigen ist.
Angst gehört zu den grundlegenden menschlichen Emotionen, die auch Basisemotionen genannt werden. Angst soll uns in bedrohlichen Situationen helfen, unsere Überlebenschancen zu verbessern, zum Beispiel wenn wir einem gefährlichen Tier gegenüberstehen. Dann werden körperliche Reaktionen in Gang gesetzt, die uns im Kampf oder bei der Flucht helfen: Der Körper setzt seine Energiereserven ein, wir werden wacher und reagieren schneller. Deswegen ist Angst auch so schwer zu beherrschen, denn diese körperlichen Angstreaktionen laufen sehr schnell und unbewusst ab. Und alles, was unbewusst abläuft, ist nicht durch den eigenen Willen steuerbar.
Jetzt steht Ihrer Angst ein starker Kinderwunsch gegenüber, denn sonst würden Sie keine Kinderwunschbehandlung auf sich nehmen. Trotzdem kann die Angst vor Operationen und Narkosen da sein. Vielleicht fragen Sie sich, ob es daran liegen könnte, dass Ihr Kinderwunsch nicht stark genug ist. Das ist kein seltener Gedanke. Ich kann Ihnen aber versichern: Ihre Angst hat nichts damit zu tun, wie stark Ihr Kinderwunsch ist. Falls Sie diesen Gedanken haben, können Sie sich daran erinnern, dass Ihnen Ihr Kinderwunsch sogar besonders wichtig sein muss, wenn Sie ihn trotz Ihrer Angst weiterverfolgen. Der Gedanke, ob Ihre Angst vielleicht ein schlechtes Omen für Ihren Kinderwunsch ist, ist ein klassischer Grübel-Gedanke. Beim Grübeln drehen sich die Gedanken im Kreis und helfen Ihnen bei der Problemlösung nicht weiter. Und letztlich lässt sich der Grübel-Gedanke immer auf die eine oder die andere Weise interpretieren.
Was kann ich nun gegen meine Angst vor Narkosen und Operationen tun?
Zunächst einmal ist die Angst da. Sich die Angst vor der Narkose oder Operation selbst einzugestehen ist der erste Schritt. Dazu gehört etwas Mut. Denn Angst zu haben und sich dies auch noch einzugestehen, wird oft als Schwäche betrachtet – besonders als Erwachsener. Dabei ist es für Erwachsene besonders gut möglich, mit der Angst umzugehen.
Vielleicht haben Sie Bedenken, dass Sie Ihre Angst nicht loswerden und Sie deshalb eine Kinderwunschbehandlung nicht durchstehen. Die Angst ganz loszuwerden wäre kein realistisches Ziel für Situationen, in denen Sie die Kontrolle abgeben. Ihr Ziel bei Angst vor Narkosen und Operationen kann es aber sein, so viel Mut zu finden, sie trotz einer gewissen Restangst zu machen. Vielleicht hilft es Ihnen, wenn Sie sich vorstellen, dass Sie Ihre Angst in Mut einpacken- wie in einen Rucksack. Je nachdem wie groß Ihre Angst ist, brauchen Sie einen ausreichend stabilen Mut-Rucksack. Und wenn Sie Ihren Mut-Rucksack nicht so einfach selbst bauen können, dann können Sie andere Menschen fragen, ob sie Ihnen einen Tipp geben, wie diese Menschen ihren eigenen Mut-Rucksack gebaut haben. So können Sie trotz Angst vor Narkosen und Operationen eine Kinderwunschbehandlung schaffen!
Zudem ist gerade im medizinischen Bereich das Fachpersonal im Umgang mit Patientenangst geschult und geübt. Sie dürfen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Kinderwunschklinik also sagen, dass Sie Angst vor der Operation oder der Narkose haben - auch wenn Sie schon auf dem Weg in den OP-Saal sind oder wenn der Anästhesist oder die Anästhesistin bereits vor Ihnen steht. Sie werden Ihnen ermutigende Worte sagen, Ihnen vielleicht beruhigend die Hand auf die Schulter legen oder Sie in anderer Weise unterstützen. Manchmal hilft auch schon der Gedanke, mit der Angst nicht ganz allein zu sein, sondern sie mit jemandem geteilt zu haben. Das kann Ihnen in diesem Moment die Portion Kraft und Mut geben, die Ihnen gerade fehlt.
- Bei Kinderwunsch und gleichzeitiger Angst vor Narkosen oder Operation brauchen Sie besonders viel eigene Willenskraft, um Ihre Angst zu überwinden.
- Angst ist eine natürliche Reaktion auf gefährliche Situationen und löst körperliche Reaktionen aus. Diese können nicht über den Willen kontrolliert werden. Deswegen ist auch nicht die Stärke Ihres Kinderwunsches entscheidend, ob Sie mit der Angst umgehen können.
- Das Fachpersonal in Ihrer Kinderwunschklinik ist erfahren und geschult im Umgang mit Narkosen- und Operationsangst. Dementsprechend können sie Ihnen durch Zuspruch oder andere Unterstützung die fehlende Portion Kraft und Mut geben, die Sie in dem jeweiligen Moment brauchen.
Ich hoffe, ich konnte Sie ermutigen, dass Sie trotz Angst vor Narkosen und Operationen eine Kinderwunschbehandlung schaffen können. Es ist nicht das Ziel, keine Angst (mehr) zu haben, sondern genügend Willenskraft und Mut aufzubringen, die Narkose oder Operation trotz Angst durchzuziehen. Wenn Ihre eigenen Kräfte dafür nicht ausreichen, können Sie andere Menschen mit ermutigenden Worten oder Gesten unterstützen. Auch in Kinderwunschkliniken ist das Fachpersonal geübt und geschult im Umgang mit Patienten, die Angst vor Narkosen und Operationen haben. Fassen Sie sich ruhig ein Herz und sprechen Sie Ihre Behandler darauf an.
Autorin: Sally Schulze
Sally Schulze ist Diplom-Psychologin, approbierte Psychotherapeutin und zertifizierte BKiD-Kinderwunschberaterin.